Tageszeit: 23:00 - 00:00 Uhr

Nach einer endlos lang erscheinenden Fahrt in der leeren U-Bahn kommen wir am Flughafen an. Eigentlich war ja die Idee, ein paar startende Flugzeuge zu fotografieren. Wir hätten uns eigentlich denken müssen, dass die Besucherterrasse mitten in der Nacht geschlossen sein könnte. So war es natürlich auch. Auf dem Weg hoch zur verschlossenen Tür versucht Daniel, dem ollen Treppengeländer noch interessante Blickwinkel zu entlocken. Es steht auch eine Plastik-Kuh rum, die er fotografiert, als wäre es Naomi Campell. Naja, vom Nerv-Faktor her wäre Naomi wohl eher Zicke anstatt Kuh.

Den Nürnberger Flughafen mag ich recht gerne. Er ist klein und schnuckig und nicht so ein Moloch wie München oder Frankfurt. Die paar Leutchen, die in dieser Nacht auf ihren Flug oder ihre Angehörigen warten, wirken allerdings auch in diesem kleinen Flughafen etwas verloren. Mir fällt ein, dass wir wohl die absolute Ausnahme sind an diesem Abend. Für uns war der Flughafen das Ziel, für alle anderen ist der Flughafen lediglich ein Ort, den man schnell wieder verlassen will, weil man entweder auf seinen Flug wartet oder gelandet ist und nach Hause will.
Naja, die Frau am Sixt-Stand arbeitet am Flughafen und damit ist der Flughafen ihr End-Ziel. Aber von der Sixt-Frau wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts.

Gleich neben dem Ankunftsbereich ist der Stand der Autovermietung Sixt. Aus irgendwelchen Gründen versuchen alle Autovermietungen dieser Welt, sich an Flughäfen gegenseitig mit hochmodern aussehenden Verkaufsbuden zu übertreffen. Die von Sixt ist leuchtend orange und sieht schön warm aus. Alles ist blinkend poliert und in der Oberfläche des Tresens spiegelt sich das Firmenlogo an der Wand, als wäre es ein Spiegel.

Daniel hat ein Foto-Weblog und nennt das "Mr. Orange" [Link...]. Nachdem der Stand so schön orangefarben ist, beschließen wir, dass das perfekt für Portraits von Mr. Orange sei. Daniel stellt sich in den Stand und ich knippse ihn ein paar Mal, bis wir unsanft von einer Frau unterbrochen werden, die aus dem Hinterzimmer des Stands kommt.
"Das ist Privatbesitz hier und man darf nichts fotografieren" keift sich ziemlich ätzend. Wir versuchen ihr klarzumachen, dass wir nicht das Corporate Design von Sixt klauen wollen, sondern lediglich vor der blanken orangefarbenen Wand stehen wollen. "Nein, das geht nicht. Bitte verlassen sie den Stand" ist ihre genervte Antwort. Wir respektieren das natürlich und trollen uns.


Daniel und ich unterhalten uns darüber, warum die Frau so schlecht gelaunt war und wir kommen zu dem Schluß, dass sie wohl einfach einen miesen und langen Arbeitstag hatte und um diese Uhrzeit viel lieber daheim auf der Couch sitzen oder wahlweise mit ihren Freundinnen in der Disco abtanzen würde.
Es müsste doch möglich sein, sie ein ganz klein wenig fröhlicher zu machen.
Ich krame also aus meiner Tasche ein Stück Papier, male eine Blume drauf, stelle mich an den Sixt-Tresen und rufe ein lautes "Entschuldigung" nach hinten.
Die Frau kommt zornig aus dem Hinterzimmer hervor und fragt patzig, was denn noch wäre.
Wir sagen ihr, dass wir der Meinung seien, dass sie ganz offensichtlich einen miesen Tag hinter sich habe und wir deshalb versuchen, sie etwas aufzumuntern. Dann schieben wir ihr den Zettel mit der Blume hin.
Die Frau schaut erst verstört und lächelt dann übers ganze Gesicht. Dann wird sie etwas rot und entschuldigt sich für ihr barsches Auftreten, bevor sie leichtfüßig wieder nach hinten entschwindet und uns einen schönen Abend wünscht.
Hey, geht doch. Schön!

Nochmal Koffein? Ja, die Beine sind schwer, die Zunge auch und der rechte Arm, der schon so lange die Kamera stemmt, lechzt nach einer Pause.

In einem Winkel entdecken wir eine Gruppe junger Frauen, die darauf warten, dass jemand ankommt. Das tun sie, indem sie laut schnattern. Sie lassen sich gerne fotografieren und wir haben eine echt witzige Unterhaltung und sowohl die Mädels als auch wir lachen uns mehrmals krumm. Frauen können echt schlagfertig sein wenn sie nur wollen.

Deutschland, Müll-Overkill-Land.
Ich liebe die Inbrunst, mit der wir immer mehr verschiedene Mülleimer für immer mehr verschiedene Müllarten auftürmen, mit farbigen Symbolen versehen und uns danach ärgern, wenn im Braunglas-Mülleimer eine eher weiß aussehende Flasche liegt.
Wenn ein Flughafen das erste ist, was ein ausländischer Besucher von Deutschland sieht, dann müsste ihn das ziemlich viele Runzeln auf die Stirn treiben. Möcht' echt mal wissen, was sich die Müllschweine aus aller Welt so denken, wenn sie in Nürnberg landen.

Die letzten 20 Minuten sitzen wir nur noch in der Nähe einer Uhr herum und warten darauf, dass sie 00:00 anzeigt und als es soweit ist, schütteln wir uns feierlich die Hand können gar nicht glauben, dass wir jetzt wirklich 24 Stunden gemeinsam mit der Kamera durch die Stadt getigert sind. Schon irgendwie cool.




Auf dem Weg nach Hause schlafe ich fast ein, denn mittlerweile bin ich gut 40 Stunden auf den Beinen.


So und was hat mir das jetzt alles gebracht?
Gute Frage. Ich fand es sehr spannend, zu beobachten, was alles in 24 Stunden reinpasst, wenn man nicht gerade schläft, sondern bewußt auf die Sinneseindrücke achtet.
Der Tag war äußerst kommunikativ, wir haben total viele Fremde Leute getroffen, ein paar Minuten mit ihnen geteilt und einen winzigen Eindruck aus ihrem Leben mitgenommen.
Letztlich war das Fotografieren nur der Aufhänger für den Tag, das Eigentliche war das Umherwandern, mit Menschen in Kontakt treten und das Treiben lassen.

Im Nachhinein bereue ich, nicht mehr während des Tages notiert zu haben. Mir scheint auch, dass wir viel zu viel Zeit in Kneipen und Cafés zugebracht haben, anstatt kreativ zu sein. Wenn es nicht nur immer so kalt gewesen wäre.

Twentyone24 war wirklich ein sehr intensives Erlebnis für mich - so intensiv, dass Daniel und ich es in genau einem halben Jahr wiederholen wollen - am 21. Juni 2008, dem längsten Tag des Jahres. Ich freue mich jetzt schon drauf.

[ Udos Bilder dieser Stunde bei Flickr (größere Auflösung)... ]

Jipiee! Ziel erreicht. Unsere letzte Station ist der Flughafen, wo gerade ziemlich tote Hose ist. Kaum ein Mensch zu sehen, die Stühle hochgestellt ... eine Gruppe Mädels zieht die Aumerksamkeit auf sich und wird von uns geknipst.

Als wir ein paar Fotos vor einem orangefarbenen Stand machen, scheucht uns die aufgebrachte Angestellte wutschnaubend weg... Ziemlich angestrengt, die gute Frau.

Udo malt Ihr anschließend eine Blume auf ein Blatt Papier und schenkt es ihr und alles ist wieder gut. Zum Abschluss setzen wir uns vor eine Uhr und warten darauf, dass die Zeit vergeht. Natürlich halten wir den Moment fest, in dem die Uhr umspringt und unsere 24 Stunden wirklich vorbei sind. Mann, bin ich froh. Aber eigentlich... die letzten Stunden gings wieder, aber unter dem Tag hab ich ganz schön durchgehangen. Wir geben uns High-Five und ich fühle mich wie nach einem Marathon-Lauf. Nicht, dass ich schonmal einen gelaufen wäre.

Das war es also, unser erster 24-Stunden Fototrip. Wir nehmen uns fest vor, die Ergebnisse des Ganzen möglichst schnell online zu stellen. Während ich diese Zeilen schreibe ist das ganze schon fast ein halbes Jahr her. Natürlich nehmen wir uns auch vor, das ganze im Sommer am 21.6 zu wiederholen. Das ist heute in knapp 2 Wochen. Ich kann nur hoffen, dass dann das Wetter besser ist. Inzwischen habe ich auch eine eigene Knipse. Wir spinnen ein paar Gedanken, dass das ganze zu einer weltweiten Aktion mit unendlich vielen Teilnehmern werden könnte. Heute bin ich froh, wenn wir es nochmal gebacken kriegen uns aufzuraffen, aber es schaut gut aus.

Was ich das nächste mal besser machen muss:
  • Akribisch Tagebuch führen. (Der ziemlich einzige Eintrag in meinem Büchlein ist, dass um ca. 3 Uhr nachts mein Kugelschreiber auseinanderfällt. Da es ein Werbe-Kugelschreiber meines Arbeitgebers ist, frage ich im Tagebucheintrag scherzhaft: Ist das ein Zeichen? Aus heutiger Sicht muss ich leider sagen: Es war ein Zeichen.)
  • Im Vorfeld ein paar Aktionen planen. Den Ganzen Tag nur ziellos unterwegs sein ist relativ anstrengend.
  • Im Vorfeld festlegen, wann wir Pause machen. Sonst nimmt das zu große Ausmaße an.
  • Mehr Aufkleber drucken - und vor allem aufkleben.
  • Mehr Visitenkärtchen drucken.
  • Den Kram schneller online stellen.
  • Wärmer anziehen.
  • Keine Doc Martens.

PS: Ach ja. Auf der Heimfahrt fahren wir getrennt in zwei Autos, treffen uns aber auf der Autobahn wieder. Ich winke wie ein Irrer. Udo sieht mich nicht.
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