Tageszeit: 13:00 - 14:00 Uhr

Das hier sollte die Stunde werden, in der mit Abstand am Wenigsten passieren sollte. Aber das wusste ich damals ja noch nicht.

Wir sitzen also noch immer im Bar Celona Finca in einer Art Valium-Zustand. Nur ab und zu durchzuckt uns ein wirrer Gedanke, der aber meist schnell wieder erfolgreich abgewendet werden kann.

Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich die Terrasse des Cafés direkt am Fluß. Ein einsamer Christbaum hält Wache und versucht möglicherweise, ab und zu mit einem dumpfen "Huuuuh"-Geräusch die Enten auf dem Wasser zu scheuchen. Aber nur möglicherweise. Eigentlich habe ich noch nie Christbäume scheuchen hören. Aber der Gedanke an Christbäume, die ihre Umwelt terrorisieren, gefällt mir.
Aber noch mehr gefällt mir, im Sommer auf dieser Terrasse zu sitzen und mit Problemen wie dem folgenden konfrontiert zu sein.

Ich
: Wollen wir den Tisch da direkt am Fluß nehmen?
Umwerfende weibliche Schönheit: Nö, zu sonnig.
Ich: Hast recht. Laß' uns drinnen sitzen.


Hatte ich erwähnt, dass ich genug vom Winter habe? Nein? Ist so.

An einem kleinen Tisch in der Nähe sitzt seit einiger Zeit eine Business-Woman, elegant gekleidet, etwa 40 Jahre alt und schlürft gedankenverloren an ihrer Latte Macchiato. Ich bin mir nie richtig sicher, ob es "der Latte Macciato" oder "die Latte Macciato" heisst. Ist immer ziemlich peinlich, wenn die Bedienung kommt und fragt "Wer hatte die Latte?". Deshalb lieber Capuccino.
Aber ich schweife ab.
Ich hätte schwören können, dass die Businessfrau auf jemanden wartet. Dieser Jemand kommt aber nicht. So wie die aussieht, kann sich der Blödmann auf was gefasst machen. Die Dame sieht so resolut aus, dass ich mich erst dann traue, ein Bild von dem Tisch zu machen, als sie schon wieder weg ist. Ich wage es auch nicht, ihr hinterherzurufen "Dieser Blödmann, oder?".

Der Zuckerstreuer auf dem Tisch der Businessfrau erinnert mich an einen Freund, der immer behauptet, er könne den Ausgießer eines Zuckerstreuers täuschend echt mit seinen Lippen nachmachen. Er ist der Meinung, dass, wenn er den Zuckerstreuer neben seinen Kopf hält und seine Zuckerstreuer-Mimik macht, man urplötzlich das Gefühl hätte, dass urplötzlich zwei Zuckerstreuer zu sehen seien.
Ich nötige ihn regelmäßig, es mir aufs Neue zu zeigen, weil ich es gar so unglaublich finde. Unglaublich lächerlich.
Das Ganze ist ähnlich lächerlich wie der Versuch von Meix, den Text auf seinem Bildschirm im Büro scrollen zu lassen, indem er einen kleinen Plastikaffen oben auf den Monitor stellt und dem Affen mit der Hand "nach oben" und "nach unten" anzeigt.
Komischerweise scrollte der Text wirklich und meine Kollegen waren schon dabei, Daniel wie einen Zauberer zu verehren. Sie hatten allerdings übersehen, dass er eine zweite Maus seitlich an seinen Tisch geklebt hatte, mit der er den Bildschirm heimlich steuerte.
Mann, jetzt bin ich aber wirklich abgeschweift.
Bevor ich den Exkurs beende, muss ich aber noch sagen: "Zuckerstreuermann, Deine Imitationskunst ist groß - ganz groß!"


Mittlerweile bin auch ich dazu übergegangen, die Kamera von Zeit zu Zeit einfach blind hochzuhalten und abzudrücken. Manchmal ist erstaunlich, was dabei rauskommt.
Die Lampen, die ich zufällig erwische, erinnern mich an die Triebwerke eines Space Shuttle. Aber wer weiß, ob nicht tatsächlich ein Shuttle im oberen Stock steht. Das Bar Celona Finca ist im Gebäude des mittelalterlichen Schuldturms, der beinahe hoch genug wäre, ein Space Shuttle in seinem Innern beherbergen zu können. Anstatt der öden Geprächsfetzen wie "Ein Cappucchino bitte" - "Kommt sofort" würde es dann so gehen:

Kunde:
Cappucchino Launch still on schedule. T minus 10 and still counting.
Bedienung: Delivery Sequence started.

Immer wenn ich müde bin, fange ich an zu fantasieren.
Lieber noch 'nen Cappuccino bestellen.

Mein treuer Mitstreiter Daniel versucht mittlerweile nicht mal mehr ansatzweise, zu verbergen, dass er dabei ist, einzuschlafen.
Ich gebe mir Mühe, ihn in Ruhe zu lassen und schubse ihn nur alle Viertelstunde an, damit er sein Bild machen kann. Keine Ahnung, was er so fotografiert.
Allerdings plappert die Familie am Nachbartisch so dermaßen laut irgendwelche Gülle, dass Daniel Probleme hat, ganz in den Zauberwald abzugleiten.

Mittlerweile ist mir langweilig und die Bedienung muß büßen. Mal sehen, worauf sie sich heute freut. Sie denkt kurz nach und schreibt dann "Geld ausgeben - Möbel" auf die Tafel.
Bei Shopping zur Vorweihnachtszeit denke ich immer an diese amerikanischen Filme mit schönen Menschen in denen die Frauen immer mit vielen eckigen Papiertüten von Nobel-Boutiques durch die Straßen eilen.
Im Fall unserer Kellnerin dürfte das lustig aussehen, wie sie so mit ihrer riesigen IKEA-Papiertüte durch die Fußgängerzone schlurft, aus der die sperrigen Teile einer Schrankwand ragen. Shopping ist machmal echt kein Spaß.

Ich kann mich nur immer wieder wundern, wie genial diese Schiefertafel als Kommunikator dienen kann. Die Kellnerin lacht, als sie wieder geht. Vielleicht sollten wir mal einen ganzen Tag lang ausschließlich mit so einer Schiefertafel kommunizieren. Ein spannender Versuch wäre es allemal.


Daniel und ich beginnen eine hitzige Diskussion über den Islam und darüber, welche Rechte man aus dem Koran ableiten kann. Unsere Ansichten darüber sind zumindest so verschieden, dass wir wirklich eine Art Streitgespräch führen.
Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, weiss ich allerdings nicht mehr, wer die besseren Argumente hatte. Höchstwahrscheinlich hat mich Daniel wieder an die Wand argumentiert.
Dass es bei Jungs aber auch immer auf einen Wettkampf rauslaufen muss.

Mittlerweile bin ich von Kaffee auf Coke umgestiegen, da der Milchschaum langsam nervt. Es geht doch nichts über einen ehrlichen, rustikalen Eiswürfel. So ein Stückerl gefrorenes Wasser macht auch viel erotische Geräusche im Glas als das spießige Rühren in einer Kaffeetasse.

[ Udos Bilder dieser Stunde bei Flickr (größere Auflösung)... ]

 


Manchmal weiß ich nicht recht, was Udo mir sagen will. In solchen Fällen schreibt er es mir dann auf. Nicht immer, aber doch manchmal mit weißer Kreide auf kleine, neue Schiefertäfelchen.

Wenn Udo sagen will, dass er sich nicht freut, schreibt er dann zum Beispiel: "Ich freu mich nicht". In solchen Fällen versuche ich dann, ihn mit lustigen Sprüchen wieder hochzuziehen, oder einfach in Ruhe zu lassen, oder zu schlafen.

Unsere Diskussion bei Tische bezieht sich in erster Linie auf die Tätigkeit eines Feldwebels, weil wir beide einen Arbeitskollegen haben, der während seiner aktiven Zeit bei der Bundeswehr diesen Rang eingenommen hatte. Die Frage des Tages lautet also: Was webelt denn der Feldwebel eigentlich so? Beziehungsweise: Was ist Webeln? Getreu der Wortabstammung bei anderen Berufsgruppen (der Bäcker bäckt, der Maurer mauert, der Maler malt, der Schweinehirte schweinehirtet) muss es ja auch die Tätigkeit des Webelns geben. Eventuell sogar mit Auszeichungen? Webeln dritten Grades? Vielleicht gibt es auch Literatur? "Die hohe Kunst des Webelns", "Webeln für Dummies", "Aus dem Leben eines Webelnichts"? Wir haben uns darüber sehr ausgiebig unterhalten und haben diverse Theorien an den Tag gelegt, die zwar alle nicht belegbar waren, aber unterm Strich doch für die folgende Annahme sprechen: Webeln fetzt.

Mir ist nicht ganz klar, weshalb Udo heute so auf Schweine abfährt, aber irgendwie haben es ihm die rosa Tierchen angetan. Zuerst die vielen Schweinepinselein im Lukas, jetzt das unsichtbare Schwein auf der Tafel. Eine Verschwörung? Ein Hinweis auf besonders viel Glück im neuen Jahr?
Mal ehrlich: Wenn man sich das hier durchliest, könnte man meinen, wir hätten einen wertvollen Tag unseres kurzen Lebens für absoluten Unfug verschenkt. Und man läge wahrscheinlich richtig. Aber cool war's trotzdem.

Diese Dame geht nachher noch Möbel kaufen. Und freut sich drauf. Hat sie gesagt. Ich glaubs ihr auch. Schön ist das mit den Bedienungen. Die müssen alle blöden Spielchen mitspielen und dabei auch noch lächeln. Schließlich dürfen sie nicht die Kundschaft vergraulen. Aber ich denke, die hier war wirklich amüsiert.
<< Vorherige Stunde Stundenplan Nächste Stunde >>

00:00
| 01:00 | 02:00 | 03:00 | 04:00 | 05:00 | 06:00 | 07:00 | 08:00 | 09:00 | 10:00 | 11:00 | 12:00 | 13:00 | 14:00 | 15:00 | 16:00 | 17:00 | 18:00 | 19:00 | 20:00 | 21:00 | 22:00 | 23:00