Tageszeit: 15:00 - 16:00 Uhr | ||||||||||
Die Fußgängerzone ist jetzt doch ziemlich bevölkert. Vor dem Buchladen Hugendubel studiert ein kleiner Junge die Süddeutsche Zeitung. Ich mache Daniel begeistert darauf aufmerksam, dass es doch noch Kids gäbe, die Zeitung läsen anstatt nur Playstation zu spielen. Ich stürme auf den Jungen zu, schüttle ihm die Hand und sage ihm, dass ich super fände, dass er sich für die SZ interessiert. Er schaut verlegen auf und stammelt "Naja, eigentlich lese ich gar nicht, sondern bin ich nur stehengeblieben, um meine Bratwürste zu essen". Shit. Aber zumindest Bratwürste statt Playstation. Is' doch auch nicht soo schlecht, oder? So ein Schild würde sich auch im Krankenhaus gut machen - zum Beispiel
am OP-Saal: "Die ersten 6 überlebenden Blinddarm-Patienten
des Tages erhalten die Reha kostenlos". Das würde vor allem
dann spektakulär sein, wenn das Schild um 15:28 noch dort hängen
würde. Ein junges Pärchen testet Töpfe vor einem Haushaltswarenladen. Daniel quatscht länger mit ihnen, da sie nicht verstehen, warum er sie beim Töpfe-checken fotografieren will. Die beiden sehen richtig frisch verliebt aus. Ich muss an das uralte Lied von Lilo Pulver denken: "Jedes Töpfen find' sei Deckelchen". Gleich nebenan entdecke ich ein Frau, die sich vor dem Ehe-Karussell-Brunnen selber fotografiert. Beim Versuch, sie dabei zu fotografieren, gerate ich vermutlich in ihr Bildfeld, ohne dass sie es merkt. Lustig, sich vorszustellen, wie sie daheim am Rechner beim Betrachten ihrer Bilder feststellt, dass ein Fremder sie fotografiert hat. Vielleicht bin ich ja doch ein Psycho. Und da ist dann noch der alte Mann, der sehr verloren vor der U-Bahn steht. Er scheint tief in Gedanken zu sein. Hoffentlich angenehme.
[ Udos Bilder dieser Stunde bei Flickr (größere Auflösung)... ]
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Nächster Anlaufpunkt ist ein Buchladen - wir müssen nämlich tatsächlich auch noch Besorgungen machen. Was wir brauchen ist genauso klar wie unkreativ, nämlich ein Geschenkgutschein. Die Gelegenheit uns ausführlich umzusehen, lassen wir uns aber natürlich nicht nehmen. Ich mag Bücherläden. Je größer, umso besser, je verwinkelter, umso besser. Der Laden hier in Nürnberg ist tatsächlich nicht schlecht, aber der Buchladen, den Udo und ich in Frankfurt besucht haben war wahrscheinlich noch fünf mal größer. Und dann wäre da noch der unglaubliche Buchladen Shakespeare & Co. in Paris, der bisher alles in den Schatten gestellt hat. Nicht wegen der Größe, sondern, weil er einfach so urig ist, dass es schon surreal wirkt. Wer auch immer mal nach Paris kommt, muss unbedingt in diesen Laden. Ist auch leicht zu finden, gleich gegenüber von Notre-Dame. Nur mal am Rande bemerkt. Im übrigen möchte ich beruhigen: Wir waren zwar im Bücherladen, haben aber dennoch nicht Theodor Storms Schimmelreiter gekauft oder gelesen. Allerdings muss ich seit kurzem jedes Mal, wenn ich einen Bücherladen betreten an dieses Buch denken. Wie ich ausgerechnet auf den Schimmelreiter komme? Nun hier ist die Geschichte: Vor einiger Zeit traf ich Samstag abends kurz vor Ladenschluss einen alten Bekannten im Supermarkt meines Vertrauens. Wir hatten vor einigen Jahren privat engeren Kontakt und uns dann komplett aus den Augen verloren. Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln "Na, wie geht's?", "Ja, muss ja, ne?" oder was vom Kaliber "Schlechte Leut geht's immer gut" tippt er dann: "Daniel, lass mich raten: Du studierst noch?" Tja, leider falsch getippt. Ich war zu dem Zeitpunkt schon seit gut 2 Jahren berufstätig, fasse das ganze aber natürlich sehr erfreut als Kompliment auf, ganz offensichtlich habe ich mich ja ganz gut gehalten. (Dass die zwei Flaschen Jägermeister in meiner Hand eventuell wesentlich zur Urteilsfindung meines Gegenübers beigetragen haben könnten, stelle ich - leicht enttäuscht - erst später fest.) Nach diesem Fehlurteil vertieft sich die ganze Kommunikation natürlich etwas, jeder reißt kurz seinen beruflichen und privaten Hergang ab und er stellt mir seine heutige Frau vor, die aus Husum stammt. Hier schließt sich dann der Kreis, denn Husum, so erfahre ich weiter, ist die Stadt "in der der Schimmelreiter spielt, wie Du ja sicher weißt". Ahja. Wieder einmal habe ich Gelegenheit mich wahlweise als Kulturbanausen zu präsentieren, oder aber Wissen vorzutäuschen. Ich weiß nicht mehr, wofür ich mich entschieden habe, klar ist jedoch jetzt hoffentlich, wie durch dieses einprägende Erlebnis die Assoziation Bücherladen->Schimmelreiter->Husum (und andersrum) entstanden ist. Exkurs beendet. Vor dem Bücherladen steht ein Bank, auf die ich mich dann erstmal dankbar niederlasse. Die optimale Gelegenheit endlich mal die Wahrheit über Doc Martens zu erzählen. Die Schuhe sind ja die Mutter aller coolen Schuhwerke und ich liebe meine Latschen echt über alles, aber für diesen 24h Fototrip durch den Großstadtdschungel sind sie leider die absolut falsche Wahl. Warum? Weil mir meine Füße wehtun wie Sau. Udo sieht in seinen Wanderlatschen natürlich aus wie ein Wahlfahrer on Tour, steht aber dafür ganz offensichtlich noch voll im Saft. Ich dagegen habe seit einigen Stunden das Gefühl mich nur noch auf Knochenstümpfen fortzubewegen, die direkt unter den Knöcheln aus dem Bein ragen. Naja. Sie sind auch schon alt. (Die Schuhe, nicht die Knöchel. Ok, die auch.) Und wahrscheinlich würde ich sie blöderweise das nächste Mal wieder anziehen. Vielleicht muss ich sie ja noch einlaufen ... weitere 7 Jahre... Oder liegt's an der Farbe? Vielleicht das nächste Mal doch die roten probieren?) Weil wir nicht mehr recht wissen was wir treiben sollen, schlägt Udo wieder einmal eine seiner großartigen "Entdecke-die-Welt-im-Kleinen"-Ideen vor: Wir gehen in einen Frisörladen und fotografieren einfach da drin. Was? Na alles! Gesagt getan. Wir gehen rein, fragen natürlich erst höflich und Cheffe zeigt sich deutlich desinteressiert und gibt uns Feuererlaubnis. Wir ziehen unsere Knipsen hervor und zielen auf alles was sich bewegt (oder nicht bewegt), was ziemlich cool ist, da sich durch die vielen Spiegel an allen Ecken und Enden niemand verstecken kann. Als der Ober-Figaro feststellt, dass wir hier nicht nur mal eben ein Bildchen schießen und wieder verduften, sondern richtig ausführlich knipsen, stürzt er gleich nach vorne, nimmt einem Kollegen die Scheere weg und bringt sich somit selbst in die Schussbahn. Und selbstverständlich nehmen wir ihn ordentlich aufs Korn! Kaum draußen aus diesem Laden peilen wir das nächste Geschäft an. Gleich nebenan, ein Waffenhändler. Auf dem Weg dorthin demonstriert Udo seine Geschicklichkeit beim "Von-einem-Pfosten-zum-anderen-Hüpfen". Ich beschließe heimlich, ihm die Fotoausrüstung zu klauen und ihn sonst einfach liegen zu lassen, falls er sich dabei das Genick brechen sollte - sofern die Ausrüstung nicht beschädigt wird. In der Auslage des Ladens steht ein MG für ca 1500 €. Ich hab noch nie ein MG in echt gesehen und frage mich, wer so was in Deutschland überhaupt kaufen darf. Und will. Und, ob das überhaupt echt sein kann, für diesen Preis? Oder ist es am Ende doch nur eine Plastikkugelspritze? Gibt es Menschen, die sowas auch zu Weihnachten verschenken und an der Theke bitten, doch noch ein Schleifchen rumzumachen? Udo entdeckt das Teil auch und meint dann: "Hey, so ein Teil hat man doch immer in CS?"... Leider dürfen wir im Laden nicht Knipsen, (aus Sicherheitsgründen) was wir natürlich respektieren müssen. Schade ist es aber schon. Wir machen uns weiter und treffen dann den verpeiltesten Nikolaus, dem ich jemals begegnet bin und schaffen es - im wahrsten Sinne des Wortes - im Vorbeigehen noch ein Pärchen zu knipsen, bei dem ich mir bis heute nicht sicher bin, ob die beiden uns nicht für zwei komplette Psychopathen halten, da wir wie Heuschrecken über sie herfallen und das Schießen anfangen. Und ich würde es sogar verstehen. |
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