Wir sitzen noch immer Tapasitos und ein Ende ist nicht
abzusehen. Es ist warm, nicht zu laut und unsere Bäuche sind prall
gefüllt. Dafür werden unsere Köpfe zunehmend leerer. Aber
nachdem einen Vakuumschädel im normalen Leben auch meist niemand
bemerkt, werden wir wohl auch das hier überstehen.
Daniel fotografiert schon den ganzen Tag mit diesem 50-mm-Objektiv und
ist ganz angetan. Irgendwie habe ich aber den Eindruck, dass er nicht
genug Bilder macht und ich meckere deshalb ständig rum. Mitterweile
glaube ich, dass Daniel unter Garantie mega-genervt ist von mir. Andererseits
muss er mich im Job eh den ganzen Tag ertragen, müsste mein Gesabble
also gewohnt sein. Ist er auch - er ignoriert mich - wie meistens; diesmal
ist es sogar berechtigt, da er versucht, die Sachen auf dem Tisch zu fotografieren,
was ohne Blitz und Stativ durchaus eine Herausforderung ist.
An der Decke sind lustigerweise Fresken mit Ausschnitten von Straßenplänen
fremder Städte. Während ich mit dem Kopf im Nacken dem Straßenverlauf
über mir folge, überlege ich, wie viel Zeit ich in meinem Leben
schon damit zugebracht habe, die ach so einfache Patentfaltung eines Falk-Stadtplans
zu besiegen. Diese Faltung ist eines der Mysterien, die zu durchschauen
ich vor langer Zeit aufgegeben habe und manchmal hoffe ich noch immer,
dem Schlauberger, dem diese Stadtplan-Faltung eingefallen ist, mal zu
treffen und nach dem Weg fragen zu können. Der Blödmann!
Da lobe ich mir doch einen Straßenplan auf einem Stück Deckenputz.
Keine Falte, alles auf einen Blick und sogar ne Lampe. Wer jetzt sagt,
es wäre unhandlich, ein paar Quadratmeter Zimmerdecke im Auto zu
haben, den nenne ich einen kleingeistigen Ignoranten.
Vermutlich sind auch in manchen Autos Stadtpläne an der Decke des
Fahrzeugs angebracht. Das würde erklären, warum der männliche
Beifahrer die Augen genervt gen Himmer verdreht, wenn sich die fahrende
Freundin mal wieder heillos verfahren hat: Der Typ checkt vor seiner Schimpftirade
halt nur heimlich die richige Route. Männer können manchmal
mindestens so durchtrieben sein wie Frauen. Wäre ja auch gelacht.
Inzwischen ist mir etwas langweilig und ich beginne, etwas in der Nähe
unseres Tisches herumzuwandern und die Wände zu fotografieren. Da
hängen Bilder von Toreros bei Stierkämpfen.
Also manchmal kann ich die Sitten in anderen Ländern echt nicht nachvollziehen
bzw. finde sie zum Kotzen.
Man sollte die Regeln einfach mal rumdrehen. Mmmh, wie könnte das
gehen? Der Stier spielt die Rolle des coolen Typen und hält ein Poster
einer blähbusigen Pamela Anderson, auf welches der testosteronverströmende
lüsterne Torero mit Brunftgebrüll losstürmt. Nachdem sich
der Mann samt seinem albernen Torerohütchen die Hormone aus der Lunge
gerannt hat, wird er, anstatt Pamela beglücken zu dürfen, in
allen Ehren rituell mit ein paar Speeren vom Stier erledigt. Und das Publikum
tobt.
Mit der Idee könnte ich es vermutlich sogar bis zum Vergnügungswart
des Bauernverbandes von Andalusien bringen.
Die meiste Zeit der Stunde führen Daniel und ich eine hitzige Diskussion.
Thema ist ein Wort - ein einziges kleines Wort und man könnte meinen,
Wohl und Wehe von ganz Nürnberg hinge von diesem Wort ab. Das Wort
selber ist ein eher selten gebrauchtes aber nichtsdestotrotz sehr edles
Wort. Es geht um das Wort "schor" bzw. "schur".
Entsponnen hat sich das Streitgespräch, als wir versuchten, uns an
möglichst viele Zeilen des uralten Songs
"Wann wirds mal wieder richtig Sommer"
von Rudi Carell zu erinnern. [Song
anhören...]
Daniel erwirbt sich eine weitere Schippe Respekt bei mir, da er weite
Passagen des Textes herbeten kann, z.B. "Pulloverfabrikanten
gingen ein". Mit welchem Schmarrn man doch sein Hirn belastet.
Knackpunkt ist allerdings die Zeile mit dem Schaf.
Wir streiten schrecklich ob es hieß
"Ein Schaf war damals froh wenn man es schor"
oder eher
"Ein Schaf war damals froh wenn man es schur".
"Schor" oder "schur"?
Daniel ist der Schor-Verfechter, ich bin Vertreter der Schur-Fraktion.
Hört sich irgendwie grammatikalischer an, dieses "schur",
finde ich.
In der Hitze des Gefechts konsultieren wir sogar unsere Kellnerin, die
sogleich Feuer fängt und angestrengt überlegt.
Bingo! Sie meint, es hieß "schur". Daniel ist trotzdem
nicht überzeugt.
Natürlich können wir das Rätsel nicht gleich auflösen,
da wir den Song nicht präsent haben.
Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, weiß ich, dass Daniel recht
hatte und das Schaf froh war, wenn man es schor. Mein "schur"
kommt mir mittlerweile ziemlich dumm vor.
OK Daniel, du hattest Recht, ich hatte Unrecht, du alter Germanist. Kotau.
Übrigens kann ich nur jedem empfehlen, im Tapasitos mal auf's Klo
zu gehen. Nicht, dass der Stoffwechsel dort spektakulärer anmuten
würde - nein, es geht ums Händetrocknen. In der Toilette hängt
ein Händetrockner, der aussieht wie zwei kurze Ofenrohre. Man muss
seine Arme von oben in die Löcher hängen und sie werden trocken
geblasen. Sagte ich "geblasen"? Das ist die Untertreibung des
Jahrhunderts. Der Trocker heißt "Hurricane" und der Name
ist Programm. Unter einem Höllenlärm fegen ganze Windhosen über
meine Unterarme und drücken Dutzende kleiner Mulden in meine samtene
Haut. Das Ding dröhnt wie verrückt und ich sehe bestimmt aus
wie ein Vollidiot, wie ich da so mit krummem Rücken stehe und meine
Arme in zwei Löcher halte.
In gefühlten 1.3 Sekunden sind nicht nur meine Hände trocken,
sondern auch meine Unterarme stark durchblutet und komplett enthaart.
Aber ich höre dann mal lieber auf, von diesem Ding zu erzählen,
sonst gehen meine Gedanken nur wieder mit mir durch und ich komme ins
Grübeln, was man alles in diese Löcher halten könnte.
[ Udos
Bilder dieser Stunde bei Flickr (größere Auflösung)... ]
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Tja, da sitzen wir dann also. Und ich weiß nichts mehr davon. Nur, dass ich sehr gut gespeist habe und, dass eine Kerze auf dem Tisch stand, die ich gut einhundert mal fotografiert habe. Ich denke, wir hatten insgesamt mindestens 3 verschiedene Bedienungen an unserem Tisch, was auf eine leichte Unterbeschäftigung des Personals um diese Uhrzeit hindeutet. Außerdem war der Laden eigentlich wie leergefegt, aber mal ehrlich, wer geht am letzten Freitag vor Weihnachten auch schon zwischen fünf und sechs zum Essen, wenn er erwarten kann über die Feiertage gemästet zu werden wie eine (zukünftige) Weihnachtsgans?
Auf dem Weg nach draußen erfahren wir noch, dass der Barkeeper irgendeinen tollen Titel hat. War irgendwas vom Kaliber "Bester Barkeeper Deutschlands", "Sexiest man alive" oder so. Ich muss gestehen: Er hat mir weder einen Trink gemixt, noch kann ich mich erinneren, wie er aussah, ganz zu schweigen davon, dass wir nicht mal mehr wissen, ob seine Geschichte gestimmt hat. Insofern kann man die letzten paar Zeilen vielleicht einfach getrost vergessen.
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