Tageszeit: 11:00 - 12:00 Uhr

Die Sonne ist rausgekrochen, wird aber, da tiefstehend, von den vielen Häusern am Kitzeln gehindert.
Wir wollen einen Ort suchen, wo sie uns ungehindert bescheinen kann - die Wörder Wiese sollte doch ideal dafür sein.

Auf einem Papierschnippsel steht
"Klappe nach inne...
Klappe vom Handgr..."

So sehr ich weggeworfene Zettel faszinierend finde, so sehr hasse ich es, die Botschaft darauf nicht zu verstehen.
Höchstwahrscheinlich stammt der Schnippsel aus einem Handbuch zur Konfliktvermeidung und die Botschaft lautete:

"Klappe nach innerem Dialog einfach mal halten. Man muss nicht alles auch aussprechen.
Klappe vom Handgranatenzünder auf keinen Fall entfernen. Die verbale Explosion hört sich zwar spektakulär aus, löst aber keine Probleme."

Wenn ich mich an einen ganz bestimmten Punkt stelle, wird die Sonne von der Straßelaterne verdeckt und es wirkt, als ob die Lampe auch am hellichten Tag brennen würde. Wie immer alles nur eine Sache des Blickwinkels. In das Wort "hellicht" könnte man sich glatt verlieben, oder?

Die Wörder Wiese ist leer und von Eis bedeckt. Im Sommer ist sie einer der Orte in Nürnberg, die ich richtig gerne mag.
Die Wiese ist dann voller Menschen, die entspannt im Gras liegen. Durch meinen Kopf flackern Bilder, die ich im Sommer hier gemacht habe.

Das Eis auf der Wiese lockt, um mit einem langen Anlauf drüberzugleiten. Dieses Rutschen mit Schuhen über Eis scheint überall einen anderen Namen zu haben. Daniel und ich diskutieren, was der hochdeutsche Ausdruck dafür ist, können uns aber nicht einigen. In meiner Kindheit haben wir das "Horscheln" genannt - keine Ahnung, wo der Name herkommt.
Außerdem kenne ich noch den Ausdruck "Scheren".

Ist schon lange lange her, seit ich das zuletzt gemacht habe. Die Kindheit ist grad fern wie ein anderes Leben. Die Band Mando Diao würde dazu sagen "Long Before Rock'n'Roll [anhören...].

Natürlich muss ich es selber ausprobieren, bin aber nicht risikofreudig genug, die Kamera dabei um meinen Hals zu lassen. Vorsicht ist die Mutter des Eisschnelläufers.

Wie sagte schon Marla in einer skurrilen Szene im Film "Fight Club", als sie in der Eishöhle von Jacks Krafttier (einem Pinguin) saß - "Gleiten".

Hier ist ein Mini-Filmchen von meinem Horscheln.



Daniel sieht mit den zwei Kameras aus wie eine Mischung zwischen Paparrazo und Kriegsberichterstatter, finde ich. Leider sind keine Leute da, die er damit beeindrucken kann.

Jemand hat eine Plastikgabel auf einen Zaun neben dem Weg geklemmt. Eine Weg-Gabelung sozusagen. Was man nicht so alles aufgabelt. Habe ich gegabelt, als ich die Gabel entdeckt habe oder hat der Typ gegabelt, als er sie hingesteckt hat? "Gabeln" ist beinah so schön wie "hellicht". Aber nur fast.

Mittlerweile sind wir richtig müde. Leider sind die Bänke noch mit Reif bedeckt, sodass wir uns nicht setzen können. In der Nähe ist ein Spielplatz mit einem Kletter-Netz in der Sonne. Da kann man sitzen.
Vorher müssen wir allerdings noch die Seil-Rutsche ausprobieren.
Ein alter Knacker läuft vorbei und beobachtet uns sehr mißtrauisch. Ich bin sicher, dass er überlegt, ob wir die Alterskriterien für die Benutzung dieses Spielplatzes erfüllen.
Wie alt soll ich denn noch werden, bis ich sowas mal benutzen darf, ohne blöd angeschaut zu werden? Vorsichtshalber warten wir trotzdem, bis Mr. Spießbürger verschwunden ist.
Die Sache macht erstaunlich viel Spaß, ich wundere mich aber, dass sich die Kids nicht dauernd alle möglichen Knochen brechen.

Um im Kletternetz sitzen zu können, müssen wir erstmal raufklettern, was mit dem ganzen Photo-Zeugs gar nicht so einfach ist. Oben ist es dann tatsächlich schön sonnig. Allerdings werden wir davon noch müder. Also wieder runter.
Daniel versucht, sich mit einer Art Salto zurück auf den Boden zu schwingen, was zwar elegant aussieht, ihm aber offensichtlich den betagten Nacken zerrt. Für den Rest des Tages muss ich mir ca. alle 15 Minuten anhören, wie sehr seine Schultern schmerzen. Ich hab sogar Bilder davon gemacht - allerdings mit der Kamera von Daniel. Schade.

Auf der Eisfläche sind mittlerweile viele Kinder. Offenbar eine Kindergartengruppe auf Freigang. Für mich ist das eine schöne Gelegenheit, mal mein großes 100-400mm Zoom-Objektiv aufzuschrauben um die Kids aus der Ferne zu fotografieren. Für das Objektiv hat sich der Name "Riesenpenis" eingebürgert. Das ist zwar nicht gerade poetisch, aber laut meiner Freunde passend, da ich ihrer Meinung nach mit dem Ding ganz offensichtlich versuche, etwas zu kompensieren. Tja, was soll ich sagen, außer, dass das Objektiv sogar automatisch Vibrationen ausgleichen kann? Vielleicht sollte ich mich wirklich zwingen, das Objektiv einfach "großes Objektiv" zu nennen.

Wir schlendern zu den "Aufseherinnen" und holen uns das OK, die Kids fotografieren zu dürfen, ohne als pädophile Perverslinge vom Platz geprügelt zu werden.

Eine der Kindergarten-Frolleins steht mitten auf dem Eis, wagt es aber nicht so recht, sich zu bewegen. Die Kids nutzen das schamlos aus und tun, was sie wollen.

Ein kleines Mädchen hat einen Stock gefunden und prügelt auf ihren Freund ein, der laut aufschreit und die Flucht ergreift. Das Mädchen verfolgt ihn mit grimmiger Miene, wild entschlossen, ihre Beute zu erledigen. Unglaublich, wie schnell man auf Eis rennen kann, wenn man nur panisch bzw. blutrünstig genug ist.

Die Aufseherin brüllt die beiden Streithähne zu sich und sagt nur ganz ruhig "Wirf den Stock weg". Die Jägerin tut das ohne Widerspruch, der Bub hört auf zu weinen und beide spielen sofort weiter, als ob nichts gewesen wäre.
Mann ey, wenn es im Krieg auch so einfach gehen würde.

Vereinte Nationen: Wirf die Bomben weg, Osama
Osama: Also gut, aber George hat angefangen.
George: Gar nicht wahr. Wollen wir Wiederaufbau spielen?
Osama: Oh, klasse. Du spielst die US Army und ich die Palästinenser.
George: Immer soll ich die Bösen spielen. Ich will auch mal die Palästinenser sein.
Osama: Also gut. Aber meinen Turban kriegst Du nicht.


Es ist faszinierend, wie lässig und selbstsicher die Kids über die Wiese laufen. Wären die drei in einem Hollywood-Film, sähe man diese Stelle gerantiert in Zeitlupe. Ungefähr so wie die Astronauten im unsäglich schlechten Film "Armageddon", nachdem sie nach der Rettung der Erde ihr Space Shuttle verlassen.


Offenbar kann man doch nicht so schnell übers Eis rennen, denn eines der Kids legt nach einer olympiareifen Flugnummer eine eher unvollständige Telemark-Landung hin und weint fürchterlich. Allerding nur eine Minute lang. Wenn ich mich nach einer Verletzung nur auch so schnell regenerieren könnte.

Uns fällt ein, dass heute der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien ist und wir mal zu einer Schule gehen könnten, um die Kids beim Verlassen der Schule zu fotografieren. In der Nähe ist eine Grundschule. Nichts wie auf.

Unter einer Brücke wachsen kleine Ziegenbärtchen aus Eis. Eigentlich liebe ich es, Eiszapfen zu lutschen, aber diese hier schmecken bestimmt eklig nach Streusalz.

Noch ein weggeworfenes Stück Papier. Leider ist es nicht dunkel, sondern hell und uns bleibt erspart, solch zweideutige Komplimente hören zu müssen.

Als wir an der Schule auf der Insel Schütt ankommen, ist der Unterricht schon beendet. Wir treffen einen kleinen Jungen, der ein paar Blumentöpfe aus dem Klassenzimmer zur Pflege über die Ferien mit nach Hause nimmt und uns verspricht, sie gut zu pflegen. Ich befürchte allerdings, dass die Pflanzen erfroren sind, bis er daheim ankommt.

Auf dem Schulhof sind noch erstaunlich viele Kids und spielen Basketball oder Tischtennis. Wir haben damals immer nicht schnell genug aus der Schule raus kommen können. Ist eigentlich ein gutes Zeichen, wenn die Kids die Schule nicht als No-Go-Area sehen.

[ Udos Bilder dieser Stunde bei Flickr (größere Auflösung)... ]

Unser nächstes Ziel ist die Wörther Wiese. Wir laufen an Notausgängen vorbei und ich frage mich kurzzeitig, wo die wohl hinführen, schließlich ist man hier bereits auf freiem Feld. Vollkommen idiotisch, denn das sind die Ausgänge von Notausgängen. Manchmal steht man echt auf dem Schlauch.

Udo und ich entdecken einen Spielplatz, ideal für uns Kindsköpfe um mal ordentlich rumzualbern. Wir miemen beide Superman bei der Seilbahn und ruhen uns dann auf einem Kletternetz aus. Beim Absteigen verrenke ich mir irgendwie die Schulter (man wird ja nicht jünger), was mir noch mehrere Tage übelste Schmerzen beim Überdieschultergucken und Udo einen teuflischen Spaß beim Sichdrüberlustigmachen bereiten wird.

Dann packt Udo sein Riesenzoom aus (ca. 1 Meter lang - mindestens) und wir knipsen spielende Kinder auf dem Eis. Die Kleinen werden von drei Frolleins beaufsichtigt, die die Kids echt im Griff zu haben scheinen. Denn kurz darauf kommt ein kleiner Junge angerannt und beschwert sich (mit Sicherheit zu Recht), dass ihn ein kleines Mädel mit einem Stock versohlt hat. Das Mädel trottet betrübt hinterher, wohl wissend, was auf sie zukommt. Anstatt der erwarteten Tracht Prügel, bekommt sie jedoch nur zu hören "Gib die Waffe ab!", woraufhin sie artig den Knüppel übergibt und die beiden trollen sich wieder und spielen glücklich gemeinsam weiter. Wenn nur alle Konflikte so leicht zu lösen wären.

Udo und ich gehen derweil weiter, nächstes Ziel ist die Schule um die Ecke. Schließlich ist heute letzter Schultag und was gibt es schöneres als Kind zu sein, am letzten Schultag. Wir erwischen noch ein paar Jungs vor der Schule, die Tischtennis und Fußball spielen. Natürlich gehen wir auch in die Schule rein, und fragen nach Erlaubnis im Gebäude zu knipsen. Alle Lehrer sind gerade in einer Konferenz, die einzige Lehrerin, die wir erwischen fragt aber für uns bei der Direktorin nach und wir bekommen eine Absage. Schade. Dafür hab ich wenigstens noch die lustigen Männle vor der Schule erwischt.

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